Innovation braucht Zeit – Innovationsroutinen erst recht

Autor on 18. Juli 2014 in Blogs, Produktmanagement mit 5 Kommentare

Wie Sie Ihren Innovationsprozess standardisieren und trotzdem innovativ bleiben.

Neulich in ein und demselben Unternehmen:
O-Ton des zuständigen Produktentwicklers: Innovationen fallen nicht vom Himmel, dahinter steckt harte Arbeit.“

O-Ton des verantwortlichen Produktmanagers: „Ich habe keine Ahnung, wie unsere Produktentwickler das immer wieder hinkriegen. Sie gucken Wochen lang aus dem Fenster und plötzlich ziehen sie den einen genialen Strich und das Design für die nächste Generation steht.“

Innovation, Organisation und Routine müssen sich nicht widersprechen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Zusammenhänge richtig verstanden werden. Und vor allem, dass nicht nur darüber geredet wird, denn: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es” (Erich Kästner).

Innovationsprozesse gestalten

Am Anfang eines jeden Innovationsprozesses steht immer die Frage: besteht bereits eine konkretes Anliegen bzw. Problem oder nutzen wir die Zeit, um kreativem und innovativem Denken Raum zu geben. Für letzteres fehlt oft die Zeit, wird als Luxus abgetan, den man sich nicht leisten will. Sicherlich, ein Unternehmen, das sich selbst als Differenzierer und Innovator versteht, hegt hierbei ganz andere Ambitionen, als ein Kostenführer, der sich perfekt im Massengeschäft etabliert hat. Was beiden Positionen jedoch gemein ist, ist die Tatsache, dass beide Unternehmen, so unterschiedlich diese auch sein mögen, eine marktführende Stellung verteidigen müssen. Diese zu erlangen war schon schwer genug, diese jedoch zu verteidigen ist mindestens genauso schwierig.

Innovationen beschränken sich nicht nur auf die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Laut einer Studie aus 2005 glaubten damals bereits 50% der befragten Führungskräfte, dass Geschäftsmodellinnovationen für den Unternehmenserfolg bedeutender sind als Innovationen konkreter Produkte und Dienstleistungen. 2008 waren es gemäß einer IBM-Umfrage unter CEOs bereits mehr als zwei Drittel, die komplette Geschäftsmodelle zur Disposition stellen. Und das Bild hat sich bis heute nicht geändert (siehe zu den Studien/Geschäftsmodellinnovationen: Harvard Business manager, 04/2009).

Innovation muss man nicht immer wieder neu erfinden. Dies gilt besonders in Zeiten immer kürzerer Innovationszyklen und steigender Entwicklungskosten. Aber wo beginnen? Bei der Reorganisation der internen Strukturen und Abläufe? Bei der Wahl geeigneter Methoden und Techniken? Oder doch lieber bei der richtigen Einbindung der Kunden?

Wenn wir uns von all diesen Fragen einmal lösen und zunächst ein mögliches, ergebnisorientiertes Vorgehen in den Mittelpunkt rücken, geht es um den Innovationsprozess selbst. Ob dieser nun vier oder sechs Phasen beinhaltet, ist gar nicht entscheidend. Wesentlich wichtiger ist das konsistente und konsequente Vorgehen, die richtige Reihenfolge.

Vier Phasen des Innovationsprozesses

Ein Innovationsprozess beginnt mit der Orientierungsphase. Dabei geht es um die Identifikation des Veränderungsbedarfs. Das Sammeln und Erheben entsprechender Auslöser kann z.B. an der Analyse interner bzw. externer Quellen ansetzen, wie z.B. dem betrieblichen Vorschlagwesen, Beschwerdemanagement, Messebesuchen, Benchmarking, Fachzeitschriften oder Verbandsmitteilungen. Solche Informationsquellen bergen jedoch die Gefahr, dass diese oft spezifische Probleme auf Produkt- oder sogar Funktionsebene betreffen, die in bestehenden Standardprozessen der Produktentwicklung oder des Releasemanagement sicher besser aufgehoben sind, als Innovationsroutinen, die komplette Geschäftsmodelle in Frage stellen. Für letzteres bietet sich daher eine gröbere Sicht auf die Dinge an. Oft fehlt hier wiederum der entsprechende Fokus, sodass nichts wirklich Greifbares herauskommt. Eine Innovationslandkarte oder Innovations-Canvas, die das Geschäftsmodell in grobe Bereiche aufteilt und bspw. aktuelle Trends und erste Ideen aufzeigt, kann hierbei ein erstes Hilfsmittel darstellen, um sich ausgewählte Felder im weiteren Verlauf genauer anzuschauen. Ebenso liefern Vision und Mission des Unternehmens und die Gegenüberstellung mit dem aktuellen Status Quo erste Diskussions- und Ansatzpunkte für Innovationsfelder (siehe zum Thema Geschäftsmodellinnovationen z.B. zfo 01/2014; St. Galler bmi-lab; brand eins 01/2014).

Die Priorisierung bzw. Auswahl innovativer Themen sollte in der Orientierungsphase so einfach wie möglich gehalten werden. Anonymisierte oder offene Punktbewertungen oder verbale Beurteilungen durch die Beteiligten führen zu schnellen, akzeptablen Entscheidungen.

Die zweite Phase, die Generierungsphase setzt sich dann kreativ mit dem priorisierten Innovationsfeld auseinander. Es existieren weit über 100 Kreativitätstechniken. Wichtig ist hierbei, dass je nach Problem- oder Fragestellung die passende Technik gewählt wird. Aber Vorsicht: Kreativitätstechniken sind weder simpel, noch stellen sie Alibitechniken dar, die einfach als Beleg für innovative Prozesse herhalten sollen im Sinne: „Ja, Brainstorming haben wir auch gemacht.“ Jeder, der es mit Innovation ernst meint, ist daher gut beraten, wenn er die Techniken beherrscht und sie vor allem anlassbezogen richtig einsetzt (siehe z.B. Harvard Business manager, 07/2008). Es gibt Techniken, die eher Freies Assoziieren fördern (z.B. Brainstorming/-writing), Ansätze, die strukturierter vorgehen (z.B. Denkhüte, Synektik), eher auf Konfrontation und Imagination setzen (z.B. Reizwortanalyse, Mood-Board) oder Ideen zu Lösungen kombinieren (z.B. Morphologische Analyse).

Bei dieser Fülle an Techniken bietet sich ein sinnvoll zusammengesetzter Werkzeugkasten (Toolbox) an, der, mit Vorlagen und Anwendungshinweisen bestückt, die Generierung von Ideen unterstützt und beschleunigt.

In der anschließenden Bewertungsphase werden die Ideen schließlich gefiltert, beurteilt und priorisiert. Und auch hier gilt wie bereits in der Orientierungsphase: einfache und pragmatische Bewertungstechniken liefern schnelle Entscheidungen, die später in Entwicklungsaufträgen münden (oder eben nicht!). Neben der erwähnten Punktbewertung eignen sich bspw. das spielerische Priority Poker, die bewährte ABC-Analyse oder die Portfolio-Analyse. In diesem frühen Stadium der Entscheidungsfindung sind meist nur qualitative Bewertungskriterien möglich, belastbare quantitative Informationen liegen oft noch nicht vor. So können bspw. sinnvolle Kriterien zum unternehmensinternen prozessualen wie strukturellen Verbesserungspotenzial, zur externen Markt-/Kundenattraktivität und zur technologischen, finanziellen und personellen Machbarkeit herangezogen werden. Komplexere Techniken, wie die Nutzwertanalyse oder die Kostenwirksamkeitsanalyse bieten sich erst in späteren Entwicklungs-/Projektphasen an, da diese konkrete (messbare) Ziele und Lösungskonzepte voraussetzen und gegenüberstellen.

Die Auswahlphase ist keinesfalls als Abschlussphase, sondern vielmehr als Enabler und Schrittmacher zu verstehen. Ob es sich dabei um eine Ergebnispräsentation vor einem Entscheidungsgremium handelt oder den formalen Übergang in den Entwicklungsauftrag – diese Phase sollte von Überzeugung, Motivation, Verbindlichkeit und Aufbruchsstimmung für die Idee geprägt sein. Dennoch sollten die Vorschläge einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Im Sinne einer Podiumsdiskussion bzw. eines Streitgesprächs können Argumente und Gegenargumente ausgetauscht werden. Eine oder mehrere Personen, die die Rolle des Advocatus Diaboli einnehmen und gezielt die provozierende Konfrontation suchen, decken mögliche Schwachstellen auf und beleuchten die Vorhaben aus ungewöhnlichen Blickwinkeln. Dabei sind diese Rollen und Positionen nicht zu missbrauchen. Bei aller Emotionalität für die Ideen, steht die Sache und möglichst objektive Auseinandersetzung mit den Vorhaben im Vordergrund. Die Rolle des Moderators sollte daher in der Auswahlphase nicht unterschätzt werden. Das Ergebnis zeigt sich schließlich in der Genehmigung oder Ablehnung der Ideen. Zuständigkeiten werden geklärt, der zeitliche Rahmen abgesteckt, Ressourcen bewilligt. Die Anschlussfähigkeit dieser Phase wird durch den Übergang in den formalen Entwicklungs-/Projektauftrag oder ein Product-Backlog gewährleistet.

In vier Wochen zur Entscheidung und noch einmal drüber schlafen!

Innovation entsteht im Schlaf. Da ist zwar etwas dran und durch Studien hinreichend belegt. So einfach ist es dennoch nicht. Konsequenz und Disziplin im Vorgehen sind genauso wichtig. Entscheidend ist die Balance aus beidem. Daher sollte ein Innovationsprozess neben klar definierten Workshop-Phasen auch immer Raum für Reflektion, Recherche und Überprüfung geben. Innovatives Denken entsteht nicht auf Knopfdruck. Das ‚Hirnen‘ über eine Idee, der lose Austausch mit Kollegen, die freie Recherche im Internet, der Blick über den Tellerrand, das Storytelling im privaten Umfeld sind essentielle Freiheiten, die den am Innovationsprozess Beteiligten ermöglicht werden sollten. Die Befähigung der Mitarbeiter, innovativ und selbstbestimmt Ideen zu verfolgen, ist eine Führungsaufgabe.

Die Konsequenz und Disziplin zeigt sich schließlich in der zeitlichen Vorgabe. In vier Wochen zur Entscheidung und das einmal pro Jahr. Natürlich ist es nicht verboten, sondern sogar gewollt, dass permanent Ideen und Vorschläge gesammelt und die Ressourcen dafür bereitgestellt werden (siehe z.B. die 15%-Regel bei 3M, die 20%-Regel bei Google oder Kreative Zerstörung bei SEW-Eurodrive).

Das klare Zeitfenster dient jedoch als Brennglas für den Ideencontainer, der z.B. einmal pro Jahr auf Gesamtunternehmensebene einer kritischen Prüfung auf Geschäftsmodell relevante Inhalte unterzogen wird. Dornbracht, ein Hersteller hochwertiger Design-Armaturen und -Accessoires für Bad und Küche liefert z.B. ein hervorragendes Beispiel dafür, wie solche Innovationsroutinen dauerhaft etabliert werden können (vgl. brand eins 01/2014).

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